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von Pfrarrerin Sonja Mitze

Predigttext: Jes 54,7-10

7 Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. 8 Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der HERR, dein Erlöser. 9 Ich halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor, dass die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten. So habe ich geschworen, dass ich nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten will. 10 Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.

Gott schenke uns ein offenes Wort für unser Herz und ein offenes Herz für sein Wort. Amen.

Eine hoffungslose Situation ?!

Es reicht! Ich mag nicht mehr! Ich habe echt die Nase voll von dir und dem, wie du dich aufführst. Diesmal hast du es wirklich übertrieben! Ich bin so sauer auf dich! Immer wieder habe ich dir gesagt, dass ich das nicht leiden kann, aber entweder hast du mir gar nicht zugehört oder du wolltest es einfach nicht hören. Kommt jedenfalls aufs Selbe raus: Du hast immer weiter gemacht! Aber jetzt reicht es! Ich bin nicht bereit, mir das noch länger anzuschauen! Sieh zu, wie du ohne mich zurechtkommst, ich gehe!

Er macht auf dem Absatz kehrt, knallt die Tür hinter sich zu und ist weg. Sie hätte nicht für möglich gehalten, dass er es wirklich ernst meint, aber diesmal hat er sie offenbar wirklich verlassen. Ganz allmählich sickert es in ihr Bewusstsein ein, was da geschehen ist. Und plötzlich greift die Angst nach ihr, das Gefühl der Einsamkeit macht sich in ihr breit. Traurigkeit, Frustration, Verzweiflung halten sie gefangen, bis sie schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit die Tatsache zu akzeptieren beginnt, dass er weg ist.

Doch dann, als sie die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte, steht er plötzlich wieder vor ihrer Tür. Sein liebevoller Blick verrät ihr, dass sein Zorn verflogen ist. Eine Weile sehen sie sich schweigend an, und dann fängt er an zu reden.

Liebe Schwestern und Brüder!

Im 54. Kapitel des Jesajabuches begegnet uns Gott mal nicht als Mutter oder Vater, sondern als Ehemann Israels. Seine Worte richten sich an die Menschen, die nach der Zerstörung Jerusalems und des Tempels ins Exil nach Babylon deportiert wurden. Für sie konnte diese Erfahrung nur eins bedeuten: Gott hat uns verlassen, weil er zornig auf uns war. Ein bisschen knüpft das an die letzte Predigt an, die ich in Speicher und Bollendorf über Hiob gehalten habe. Dort, bei Hiob, konnten wir erkennen, wie schwierig es ist, das Leid und das Unglück, das uns widerfährt, per se als Gottes Zorn zu deuten. Ich möchte meine Ausführungen dazu hier nicht wiederholen. (Wen das interessiert, kann die Predigt gern auf unserer Homepage nachlesen.)

Stellen wir einfach fest: Israel selbst fühlt sich im Exil von Gott verlassen.

Und dann ist er plötzlich wieder da und beteuert: Ich bin hier, um dich zurück zu holen. Von Gnade und Erbarmen ist da die Rede, von der Sammlung der im Exil Zerstreuten und von Barmherzigkeit.

Klingt das nicht zu schön, um wahr zu sein? Irgendwie will noch nicht so recht Freude aufkommen. Israel scheint seinem Ehemann nicht gerade um den Hals zu fallen. Die Zurückhaltung liegt förmlich in der Luft. Und was dann? Unausgesprochen steht diese Frage Israels im Raum. Was wird passieren, wenn wir uns wieder auf dich einlassen? Können wir dir überhaupt noch trauen? Was, wenn du wieder mal sauer auf uns bist? Verschwindest du dann wieder? Lässt du uns dann wieder allein?

Nein!, ist Gottes Antwort. Und er erinnert seine Geliebte an das, was er nach der Sintflut geschworen hat: nie wieder soll etwas geschehen, was alles Leben auf dieser Erde auslöscht. Und genauso, sagt er, habe ich nun geschworen, dass ich dir nicht mehr zürnen und dich nicht mehr schelten will.

Ob das der Grund ist, frage ich mich, warum Gott nicht (oder nicht mehr?) mit der Faust auf den Tisch haut und uns Menschen mal so richtig die Meinung geigt, bei allem, was wir hier so auf der Erde fabrizieren? Krieg und Gewalt, Umweltzerstörung, Ungerechtigkeit, Ausbeutung … die Liste dessen, was gewiss nicht in Gottes Sinne ist, ist lang. Und doch hat Gott offenbar beschlossen, anders darauf zu reagieren als mit Zorn und Schimpfe. Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen. Gnade – so hat Luther das hebräische Wort Chäsed übersetzt. Nicht ganz glücklich, wie ich finde, denn bei dem deutschen Wort Gnade schwingt eigentlich immer eine Hierarchie, ein Gefälle mit: Der, der Gnade gewährt sitzt am längeren Hebel, hat die Macht, gnädig zu sein oder eben nicht. Im Hebräischen geschieht Chäsed jedoch auf Augenhöhe, und im Wörterbuch steht daher als erster Übersetzungsvorschlag „Liebe“.

Also sagt Gott: Selbst wenn massive Berge und Hügel durch ein Erdbeben oder ähnliche Gewalten zusammenfallen würden – meine Liebe ist massiver als Berge! So standhaft ist sie, dass sie durch nichts erschüttert werden kann. Gott hat einen unaufkündbaren Frieden mit seinem Volk geschlossen, und daran wird sich für ihn auch nichts mehr ändern, ganz gleich, wie sein Volk sich verhalten wird.

Dieses leidenschaftliche Bekenntnis Gottes gibt uns einen Einblick in seine hingebungsvolle Liebe. Und vielleicht kommen wir an dieser Stelle dem Sonntag Lätare ein wenig auf die Spur: Gottes Leidenschaft ist sicher ein Grund zur Freude. Aber in dem Wort Leidenschaft steckt eben auch das Leiden drin. Für seine passionierte Liebe ist er notfalls auch bereit zu leiden. Gottes Liebe, so glauben wir, hat in Jesus Christus menschliche Gestalt angenommen. Er ist die Verkörperung von Gottes leidenschaftlicher und leidensbereiter Liebe. In ihm sind auch wir, die Völker, mit hineingenommen in Gottes grenzenlose, bedingungslose Liebe, in seinen Bund des Friedens. Und in ihm leidet Gott an Unrecht und Gewalt, an Krieg und Umweltzerstörung, an allem, was seiner Liebe und seinem Willen zu einem friedvollen Leben im Wege steht.

Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?, hat Jesus am Kreuz gerufen (Mk 15,34) und damit noch einmal die Gottverlassenheit durchlebt, die Israel im Exil erfahren hat. Und wir können solche Gedanken und Gefühle ja durchaus nachvollziehen. Gerade dann, wenn es uns schlecht geht, erscheint Gott auch uns manchmal in weite Ferne gerückt zu sein. Manchmal können wir seine Nähe dann einfach nicht mehr spüren, fühlen uns einsam und allein gelassen.

Ich möchte Sie einladen, sich einen Augenblick Zeit zu nehmen und dem mal für sich nachzuspüren: Gab es schon mal Situationen in meinem Leben, in denen ich mich vielleicht so oder so ähnlich gefühlt habe? Einsam, allein, voller Angst, resigniert, verzweifelt? Möglicherweise sogar von Gott verlassen? Ich möchte Sie einladen, diesen Gefühlen noch einmal nachzuspüren, sie nicht gleich wegzuschieben, sondern zuzulassen, sie jetzt in diesem Augenblick noch einmal zu spüren. Halten wir dazu einen Moment der Stille.

* Stille *

Die Gefühle, die jetzt in uns hochgekommen sind, dürfen da sein. Sie wollen gefühlt werden, auch die schmerzvollen. Doch sie müssen nicht für immer bei uns bleiben. Was, wenn Gott mit sanfter und liebevoller Stimme in all diese Gefühle hineinspricht: Mit großer Barmherzigkeit will ich dich aus deiner Einsamkeit, aus deiner Angst, aus deiner Verzweiflung heraus sammeln. Mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen. Ich will dich erlösen. Ich löse auf, was in dir versteinert ist, löse deine Traurigkeit, dass deine Tränen fließen können, löse die Erstarrung, in die deine Angst dich versetzt hat, löse die Hoffnungslosigkeit, die sich in dir festgesetzt hat. Was, wenn uns dann langsam klar wird: das, was so lange eingesperrt war, was so lange unterdrückt und gefangen war, darf nun gehen? Sind wir bereit, es gehen zu lassen? Wie würde es sich anfühlen, wenn dafür Gottes Liebe kommt? Wie würde es sich anfühlen, wenn sie dorthin fließen würde, wo das Alte gegangen ist und Platz gemacht hat? Wie würde es sich anfüllen, wenn Gottes Liebe uns erfüllen würde, wenn sich seine Erbarmen in unserem Herzen ausbreiten würde, so dass wir barmherzig sein könnten mit uns und anderen? Wie würde es sich anfühlen, wenn wir mit Gottes Frieden verbunden wären, und Frieden fänden mit dem, was war und mit dem, was ist? Wie würde unser Leben dann aussehen?

UND DER FRIEDE GOTTES, DER HÖHER IST ALS ALLE VERNUNFT, BEWAHRE UNSERE HERZEN UND SINNE IN JESUS CHRISTUS. Amen
 

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Pfarrerin
Sonja Mitze

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