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Eine Stimme aus der zweiten Reihe

©2021 Friedrich Gasper

Ich heiße Baruch und war jahrelang Schreiber des Oberzöllners Zachäus in Jericho. In dieser Position bekommt man so einiges mit, was in den Berichten der Evangelisten in der Regel nicht erwähnt wird. So ist das nun mal im Leben. Wir Leute aus der zweiten Reihe haben zwar die Arbeit, aber werden trotzdem kaum wahrgenommen. Eine Ausnahme ist vielleicht mein Urahne Baruch, der vor 600 Jahren Schreiber des Propheten Jeremias war. Er wird wenigstens an mehreren Stellen der Bibel erwähnt.

Mein Chef Zachäus ist zwar kein berühmter Prophet, aber trotzdem ein sehr interessanter Mann. Besonders spannend finde ich seine Beziehung zu dem berühmten Rabbi Jesus von Nazareth. Lukas hat nur knapp darüber berichtet. Meine Erinnerungen stellen die Ereignisse nun aus der Sicht eines neutralen Beobachters dar.

Als erstes will ich versuchen die Person des Zachäus zu beschreiben und zu charakterisieren. Aus dem Lukasevangelium wissen wir, dass Zachäus Oberzöllner war. Manche Leute, vor allem die Pharisäer und Schriftgelehrten, warfen ihm deshalb vor, dass er ein Kollaborateur und Sünder sei. Diese Einstellung wird, meiner Meinung nach, aber den damaligen Verhältnissen nicht gerecht. Zachäus war kein Angestellter der römischen Verwaltung. Er hatte lediglich als Einheimischer von den Römern die Zollrechte in Jericho gepachtet. Für die Römer war das ganz praktisch. Sie erhielten regelmäßig einen festen Betrag als Pachtgebühr und mussten sich um sonst nichts kümmern. Zachäus hatte dagegen die Zollstellen zu organisieren und zuzusehen, dass seine Einnahmen die Pachtgebühr überstiegen. Darin war er ausgesprochen erfolgreich. Sein Geschäft lief so gut, dass er sich sogar einige Angestellte, wie zum Beispiel mich, leisten konnte.
Ich geb ja zu, dass wir die Zollgebühren immer sehr großzügig nach oben aufgerundet haben, und Zachäus war auch sehr kreativ im Erfinden von neuen Zöllen und Abgaben. So hat er zum Beispiel die kuriose Toilettensteuer erfunden, die der römisch Kaiser Vespasian später tatsächlich in Rom mit der Begründung: „penuncia non olet (Geld stinkt nicht)“ eingeführt hat. Es stimmt schon, dass einige unserer Einnahmen illegal oder zumindest sehr fragwürdig waren. Manche Händler nannten uns Betrüger und Erpresser, wenn wir für seltene Waren besonders hohe Abgaben verlangten. Vor allem die Schriftgelehrten und Pharisäer verachteten uns und sprachen gleich von Korruption, wenn wir den einen oder anderen Bürger gegen eine „kleine“ Extragebühr bevorzugt behandelten. Den Römern war das egal, solange sie ihre vereinbarte Pacht bekamen. Wir verdienten so nicht schlecht, und Zachäus, als unser Chef, wurde sehr schnell sehr reich. Ich denke, dass die Schriftgelehrten und Pharisäer deshalb besonders neidisch waren. Dabei lebten sie selbst auch nicht schlecht von den Opfern, den Zehnten und anderen Einnahmen des Tempels. Ob da alles korrekt zuging ist ebenso zweifelhaft.
Zachäus ärgerte sich maßlos über die zur Schau gestellte „Frömmigkeit“ der Pharisäer, vor allem dann, wenn sie zur Hebung ihres Selbstwertgefühls mit den Fingern auf uns zeigten. Die Pharisäer wiederum schossen sich besonders auf Zachäus als Oberzöllner ein. Sie scheuten auch nicht davor zurück, ihn wegen seiner Kleinwüchsigkeit zu verspotten. Einige gingen sogar soweit, dass sie die geringe Körpergröße von Zachäus als Strafe Gottes interpretierten. Also  kurz und gut, Pharisäer und wir Zöllner, vor allen Zachäus, waren nicht die besten Freunde. Da ist es kein Wunder, dass mein Chef hellauf begeistert war, als er von dem neuen Rabbi in Kafarnaum hörte.
Jesus, so hieß der neue Rabbi, war, nach allem was wir gehört hatten, eher auf unserer Seite als auf der Seite der Pharisäer. Jedenfalls sah er unsere Steuern als gleichwertig mit der Tempelsteuer an. Die Pharisäer wollten ihn einmal linken mit der scheinheiligen Frage: „Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuern zu zahlen oder nicht?“ Sie dachten, dass sie ihn damit in Widersprüche verwickeln könnten.  Wenn er einfach „ja“ sagt, ist er bei den traditionellen Juden unten durch, und wenn er „nein“ sagt, würden die Römer das als Aufruf zum Widerstand auslegen. Die Lösung von Jesus war ein Meisterstück der Diplomatie. Er ließ sich eine Steuermünze zeigen und fragte dann die Pharisäer mit einer wahren Unschuldsmine: „Wessen Bild ist das?“ Die mussten natürlich wahrheitsgemäß antworten: „Des Kaisers“. Jesus antwortete mit einem Lächeln: „Aha, dann gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist.“ Dem hatten die Pharisäer nichts entgegenzusetzen und zogen bedröppelt ab.  
Als Zachäus die Geschichte hörte, schlug er sich begeistert auf die Schenkel und wünschte sich sehnsüchtig, diesen Jesus einmal kennenzulernen. Aber fürs erste hielt sich der Rabbi hauptsächlich im Grenzgebiet von Samaria und Galiläa auf und wohnte in Kafarnaum. Von dort erreichte uns dann die Nachricht, dass Matthäus,  der örtliche Zöllner, wohl ein paar Probleme mit einer kleinen Schmugglerbande hatte. Zachäus schickte mich nach Kafarnaum, um nach dem Rechten zu sehen. Eigentlich waren wir hier im Süden für dieses Gebiet gar nicht zuständig. Es gehörte ja in den Machtbereich von Herodes. Das Angebot, dass ich da Amtshilfe leisten sollte, war für meinen Chef auch nur ein Vorwand. In Wirklichkeit ging es ihm darum, mehr über diesen Jesus zu erfahren.
Matthäus war eine ehrliche Haut und hatte kein Problem damit, zuzugeben, dass er überfordert war. Er hatte wohl einen begründeten Verdacht gegen fünf junge Leute, von denen einer gelähmt war. Trotzdem traute er sich nicht, etwas gegen die Bande zu unternehmen, weil einer von ihnen der Sohn des römischen Hauptmanns war, der den örtlichen Militärposten befehligte.

Das war in der Tat etwas heikel. Man weiß ja nie, wie so ein Römer reagiert, wenn seine Familie angegriffen wird. Während wir noch darüber diskutierten und die Straße beobachteten, gab es auf einmal in der Nebenstraße einen riesigen Menschenauflauf. Die Menschen rannten durcheinander und schrien begeistert: „Jesus ist wieder zu Hause! Der Meister kommt, Halleluja!“ Ich schaute zunächst abwechselnd auf den Tumult auf der Straße und in das strahlende Gesicht von Matthäus und verstand erst einmal gar nichts. „Was hat das zu bedeuten?“ fragte ich ihn. „Da, in dem Haus nebenan, wohnt der berühmte Rabbi Jesus, wenn er mal wieder in Kafarnaum ist. Ihr habt doch auch in Jericho schon mal von ihm gehört.“ Ich ließ mir nichts anmerken und antwortete möglichst gleichgültig: „Na und?“ Matthäus brauchte nicht zu wissen, dass es dieser Rabbi war, für den sich mein Chef so interessierte. Wir beobachteten das Treiben auf der Straße schon einige Zeit, als Matthäus mich plötzlich in die Rippen stieß. „Da sind sie wieder!“ „Wer?“ „Die Schmugglerbande, da hinter dem Haus.“ Tatsächlich, da waren vier junge Männer, die einen fünften auf einer Bahre hinter das Haus trugen. Während wir noch darüber grübelten, was die wohl vorhaben und ob wir nicht besser die römische Wache alarmieren sollten, erschienen die Kerle auf dem Dach des Hauses. Es sah so aus, als ob sie es abdecken würden. Dann waren sie plötzlich verschwunden. Ich sah Matthäus verwundert an. „Die werden doch nicht einbrechen, während der Meister zuhause ist?“ Während wir noch darüber nachdachten, was zu tun sei, wurde es einmal ganz still. Die Atmosphäre war zum Zerreißen gespannt. Dann, ganz plötzlich, entlud sich die Spannung in einem unglaublichen Jubelsturm.  Die Leute tanzten auf der Straße und schrien: „Halleluja! Ein Wunder! Seht doch, er kann gehen!“ Dann sahen wir auch den Grund für diesen Jubel. Der Gelähmte kam aus dem Haus und trug seine Bahre unter dem Arm. Er hüpfte und sprang herum, als ob er nie gelähmt gewesen wäre. In der Tat, das war ein unglaubliches Wunder.
Hinter dem jungen Mann erschien dann Jesus in der Tür und kam direkt auf uns zu. Matthäus hatte ganz glänzende Augen, und als Jesus dann noch zu ihm sagte: „Komm, folge mir nach.“, war er ganz aus dem Häuschen. Er gab mir wortlos die Schlüssel von der Zollstation und ging mit Jesus zu sich nachhause.
Etwas später schickte er einen Boten vorbei mit der Nachricht, dass wir alle bei ihm zum Essen eingeladen waren. Das heißt Jesus und seine Jünger, alle Zöllner und auch alle, die bei den Pharisäern als Sünder galten. Für die war das natürlich eine ungeheuerliche Provokation. Sie fingen dann auch gleich an gegen Jesus zu hetzen. „Seht nur, mit was für einem Volk er sich da abgibt. Das will ein frommer Rabbi sein, der mit dem Abschaum der Menschheit zu Abend isst?“
Die Schmähungen wollten gar nicht mehr aufhören. Und wieder einmal konterte Jesus sie geschickt aus. Mit einem Augenzwinkern sagte er nur: „Nicht die `Gesunden´ brauchen einen Arzt, sondern die Kranken. Überlegt doch einmal, was es bedeutet, wenn Gott sagt: ‘Barmherzigkeit will ich und keine Opfer!‘  Ich bin nicht gekommen, um die `Gerechten´ zu rufen, sondern die Sünder. “ Wer Jesus kannte, konnte dabei heraushören, dass er die Pharisäer weder für gesund noch für gerecht hielt. Viele im Saal, vor allen wir Zöllner, stimmten ihm innerlich zu. Uns ging die Selbstgerechtigkeit und Frömmelei dieser Typen schon lange auf die Nerven.
Nach dem Essen hatte Matthäus noch eine überraschende Mitteilung für uns: „Liebe Freunde, dass Essen heute Abend ist mein Abschiedsessen und ein Dankeschön für eure Freundschaft. Aber ab heute bin ich nicht mehr Zöllner, sondern nur noch ein Jünger von Jesus.“ Wir sahen ihn und Jesus überrascht an, aber von beiden gab es keinen weiteren Kommentar. Ein paar Tage später zog Matthäus mit Jesus weiter in Richtung Jerusalem Wie wir gehört haben, wurde Matthäus von Jesus auch in den Kreis der Apostel berufen. Dass er in seinem Evangelium seine Herkunft nicht verschweigt und unumwunden zugibt, dass er einmal einer von uns war, rechnen wir ihm heute noch hoch an. Markus und Lukas erzählen in ihren Evangelien die gleiche Geschichte. Warum sie aber von einem Zöllner namens Levi reden und nicht von Matthäus, wissen wir nicht. Sie waren damals nicht selbst dabei und wussten vielleicht nicht, dass der Zöllner der spätere Apostel Matthäus war.
Meine Mission in Kapernaum war damit erfüllt. Beim Nachfolger von Matthäus war die Zollstation in guten Händen und ich konnte beruhigt nach Jericho zurückkehren. Mein Chef war schon ganz gespannt auf meinen Bericht und freute sich schon darauf Jesus zu sehen, wenn er auf seinem Weg nach Jerusalem durch Jericho kommen würde. Als es dann soweit war, hatte er aber ein kleines Problem. Als Kleinwüchsiger konnte er nichts sehen, weil alle größeren Leute ihm die Sicht versperrten. Zachäus wäre aber nicht Zachäus, wenn ihm da keine Lösung eingefallen wäre. Er war ja zu seinem Glück sehr sportlich und kletterte schnell auf einen Maulbeerbaum am Straßenrand. Da konnte er hervorragend sehen - ohne, wie er meinte, selbst gesehen zu werden. Das war aber ein Irrtum. Jesus hat ihn sofort entdeckt und sprach ihn an: „Zachäus, steig schnell herab. Ich will heute in deinem Haus zu Gast sein.“ Ihr könnt euch sicher vorstellen, wie mein Chef sich gefreut hat. Er ließ ein prächtiges Abendessen zubereiten und lud, wie Matthäus, Freunde und Bekannte ein. Und wie bei Matthäus murrten die anderen Leute darüber, dass Jesus mit Zöllnern und Sündern zu Abend aß. Zachäus hatte aber kein Problem damit. Er gab zwar nicht, wie Matthäus, seinen Beruf auf, aber er versprach, die Hälfte seines Besitzes an die Armen zu geben und alle, die er betrogen hatte, reichlich zu entschädigen. Jesus sagte dazu: „Heute bist du gerettet worden –zusammen mit allen, die in deinem Haus leben. Denn auch du bist ein Nachkomme Abrahams! Der Menschensohn ist gekommen, um die Verlorenen zu suchen und zu retten.“ Von da an ging es auf der Zollstation in Jericho ehrlich zu.

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