von Pfrarrerin Sonja Mitze
Predigttext: Hebräer 5, 7-10
7 Und er (Christus) hat in den Tagen seines irdischen Lebens Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen vor den gebracht, der ihn aus dem Tod erretten konnte; und er ist erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt.
8 So hat er, obwohl er der Sohn war, doch an dem, was er litt, Gehorsam gelernt.
9 Und da er vollendet war, ist er für alle, die ihm gehorsam sind, der Urheber der ewigen Seligkeit geworden,
10 von Gott genannt ein Hoherpriester nach der Ordnung Melchisedeks.
Gott schenke uns ein offenes Wort für unser Herz und ein offenes Herz für sein Wort. Amen.
Liebe Schwestern und Brüder!
Der neutestamentliche Theologe Erich Grässer schreibt über diese Verse: „Möglicherweise sind sie ‚einer der wichtigsten Texte im Hebr‘, sicher aber einer der schwierigsten im Neuen Testament.“
Schwierig, wohl wahr. Da ist zunächst einmal das Bild des Hohenpriesters, das uns fremd ist. Aber auch inhaltlich sträubt sich einiges in mir, wenn ich lese: Jesus habe an dem, was er litt, Gehorsam gelernt. Ganz offensichtlich erwartet der Predigtext auch von uns Gehorsam, um die „ewige Seligkeit“ zu erlangen. Und ich merke: mit diesem Gott, der offenbar „Gehorsam im Leid“ fordert, kann ich nicht viel anfangen.
Also lieber einen anderen Predigttext nehmen? Aber ich will mich nicht vor diesem sperrigen Text drücken und versuche einen anderen Zugang zu ihm zu bekommen. Hilfreich ist es ja immer, mal nachzuschauen, in welchen Kontext der Text hineingesprochen – oder in unserem Fall: geschrieben wurde. Die Christinnen und Christen, für die der Hebr. zwischen 80 und 90 n.Chr. geschrieben wurde, befanden sich in einer schwierigen Situation: die Gefahr, als Christ denunziert und verfolgt zu werden, war durchaus real. Doch selbst wenn es nicht zum Äußersten kam, erzählt das 10. Kapitel des Hebr von mancherlei Bedrängnissen wie Beleidigungen, Raub des Besitzes und Gefangenschaft. Und so möchte der Hebr vor allem eins: die Glaubenshoffnung der Gemeinden stärken. „Macht jetzt bloß nicht schlapp!“, ruft er ihnen zu. Und er versucht ihnen, etwas mit auf den Weg zu geben, was ihnen dabei helfen kann, die Hoffnung nicht zu verlieren, sondern am Glauben, am Vertrauen auf Gott trotz aller Bedrängnis festzuhalten.
An dieser Stelle finde ich einen Anküpfungspunkt, da können wir uns andocken. Denn auch wenn wir nicht unter Verfolgung leiden, so haben doch viele von uns ihr „Päckchen“ zu tragen: eine Krankheit, unter der sie leiden, Beziehungen, die in die Brüche gegangen sind, Einsamkeit, der Tod eines geliebten Menschen, Sorgen und Ängste, Stress und Konflikte. Sicher könnten wir diese Liste mit unseren persönlichen Leidensgeschichten ergänzen. Was also hat der Hebr uns bei all dem anzubieten?
Hier kommt nun das Bild des Hohenpriesters ins Spiel. Ein wichtiges Kennzeichen des Hohenpriesters, neben der Einsetzung durch Gott, ist seine Fähigkeit zum Mitgefühl: Er kann mitfühlen mit denen, die unwissend sind und irren, weil er auch selber Schwachheit an sich trägt. (Hebr 5,2) Dieses Mitgefühl findet er auch bei Christus wieder: in den Tagen seines irdischen Lebens, hat er Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen vor den gebracht, der ihn aus dem Tod erretten konnte. (V7)
Jesus war ein Mensch wie wir. Er hat gelitten unter der Ablehnung derer, die ihn nicht als Mann Gottes, sondern als Gotteslästerer sahen. Er hat unter seiner Familie gelitten, die ihn für verrückt hielt. Er hat unter dem Verrat eines seiner besten Freunde gelitten, der nicht verstand, dass er das Reich Gottes nicht mit Waffengewalt heraufführen würde. Er hat unter der Verleugnung eines anderen Freundes gelitten, der in seiner schwersten Stunde nicht zu ihm stehen konnte, weil seine Angst größer war als seine Loyalität. Er hat unter der Brutalität der Folter und der Hinrichtung gelitten, unter dem Spott der Zuschauer und unter dem Eindruck der Gottverlassenheit.
Jesus weiß also, was es heißt zu leiden. Und das bedeutet: er kennt auch unser Leid. Wir sind im Leiden nicht allein, sondern da ist jemand, der im Leid unsere Hand hält, der unseren Schmerz teilt, den Weg durch das dunkle Tal mit uns geht, der unser Leid sieht. Unser Gott ist kein Gott, der unser Leiden will, sondern ein Gott, der mitfühlend mit uns leidet. Das ist der eine Aspekt, der uns im Leiden helfen kann.
Der andere Aspekt, mit dem unser Predigtext uns im Leiden helfen möchte, ist die Erinnerung daran, dass Jesu Weg nicht im Leiden endete: Jesus hat sich mit Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen an Gott gewandt, der ihn aus dem Tod erretten konnte; und er ist erhört worden. Und da er vollendet war, ist er für uns zum Urheber der ewigen Seligkeit geworden. Alles Leid, das wir hier erleben, so unendlich schwer es auch sein mag, hat seine Begrenzung. Es ist vorläufig. Gott hat Jesus aus dem Tod errettet. Nicht so, wie wir es uns vielleicht wünschen würden, dass er Jesus vor dem Sterben gerettet hätte. Jesu Weg – wie auch unser Weg – führt durch den Tod hindurch, und oftmals eben auch durch Leid. Aber in Gottes Rettungshandeln zeigt sich Gottes Wille, uns in bedingungsloser, hingebungsvoller Liebe immer wieder neues Leben zu schenken - allen zerstörerischen Mächten zum Trotz. Gott eröffnet uns Zukunft in aussichtslosen Situationen, stellt der Begrenztheit der zerstörerischen Mächte des Todes die ewige Seligkeit gegenüber.
Aus dieser Perspektive heraus möchte ich mich auch noch mal der Forderung nach Gehorsam stellen. Für Paulus, von dessen Theologie ja auch der Hebr geprägt ist, ist der Begriff des Gehorsams ein zentraler Bestandteil seiner Theologie: Gott erwartet unseren Gehorsam und reagiert mit Zorn auf jede Missachtung seiner Gebote. Interessant ist allerdings, dass dort, wo im Alten Testament von Gehorsam und gehorchen bzw. von Ungehorsam und nicht gehorchen die Rede ist, immer nur die Vokabel für Hören bzw. deren Verneinung steht. In Wirklichkeit sind es also die Übersetzenden, die den Eindruck erwecken, es ginge in der Beziehung zu Gott um unseren Gehorsam. Siehe, hören ist besser als Opfer, aufmerken besser als Fett von Widdern!, heißt es in 1. Sam 15,22. Nun könnte man meinen, dass es sich hier um eine Spitzfindigkeit handelt, denn natürlich möchte Gott, dass wir nicht nur auf sein Wort hören, sondern es auch tun. Und doch hat das Hören für mich noch mal eine andere Qualität als das Gehorchen. Die Gefahren, die Gehorsam, womöglich sogar blinder Gehorsam, in sich tragen, stehen uns nicht erst seit den Zeiten des 3. Reichs vor Augen. Es ist der Unterschied zwischen Gehorchen um des Gehorchen willens und dem aktiven Hören, das danach fragt, was der Sinn des Gehörten ist. Im Hinhören auf die Gebote konnte Jesus sie so auslegen, wie es den Menschen, und dem Leben diente. Seine Gegner dagegen, die den Gehorsam gegenüber den Geboten einforderten, kreideten ihm genau das an. (Und wenn wir uns erinnern: auch Paulus gehörte ja zunächst einmal zu den Gegnern Jesu. Und es ist deutlich spürbar, dass er zumindest in dieser Frage in seinem alten Gedankenkonstrukt verhaftet geblieben ist – möglicherweise auch deshalb, weil die Botschaft des irdischen Jesus völlig hinter seinen christologischen Überlegungen zurücktritt.)
Versuchen wir diese Erkenntnis, dass es im Alten Testament um das Hören, nicht um den Gehorsam geht, auf unseren Predigttext anzuwenden, so bedeutet das: Jesus hat an dem, was er litt, das Hören gelernt. Das könnte heißen: auch in der Sinnlosigkeit des Leidens, ja, selbst dort wo wir Gott in unendlicher Ferne erleben, die Beziehung zu ihm nicht abreißen zu lassen, sondern in Hörbereitschaft zu bleiben. In diese Hörbereitschaft möchte Jesus uns mit hineinnehmen. Er lädt uns ein, unser Vertrauen auf ihn zu setzen auch dort, wo wir nach menschlichen Maßstäben am Ende sind. Er lädt uns ein, zu lernen, uns auf ihn zu verlassen, wo unsere irdischen Verlässlichkeiten wegbrechen.
Wenn uns das gelingt, so der Hebr, ist Jesus für uns der Urheber, die Quelle ewiger Seligkeit geworden. Bemerkenswert ist, dass hier nicht gesagt wird: Dann wird Jesus für uns zum Urheber ewiger Seligkeit, sondern: er ist es bereits geworden!
Und von daher wird vielleicht auch das Amt des Hohenpriesters verständlich, das dem Hebr. so wichtig ist: Melchisedek ist der Prototyp des Priesters. Sein Name bedeutet: Mein König heißt Gerechtigkeit. Und genau darin besteht ja die Aufgabe eines Priesters: Unrecht und Ungerechtigkeit, die das Zusammensein, die Verbindung zwischen Gott und Menschen gefährden, wieder ins Lot zu bringen. Jesus als Hohepriester baut uns quasi eine Brücke zu Gott, über all das hinweg, was uns von Gott trennen will: unsere Schuld und unsere Angst, unsere Sorgen und Nöte, unseren Schmerz und unser Leid. Er ruft uns, inmitten unserer Gottesferne diese Brücke zu nutzen. Wenn wir seinen Ruf hören und bereit sind, dann können wir uns schon jetzt mit Gottes ewiger Seligkeit verbinden, schon jetzt etwas von seiner Liebe und Barmherzigkeit spüren.
Digitale Kollekte
Wenn Sie im Augenblick keinen öffentlichen Gottesdienste besuchen können oder möchten.
Sie aber etwas in die Kollekte für die verschiedensten Zwecke und Werke geben möchten, ist hier die Möglichkeit für die jeweiligen Tage dazu:
Herzlichen Dank für die Unterstützung.
Pfarrerin
Sonja Mitze